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EuGH-Urteil 2021: Verbraucher können fast alle Kredite widerrufen – jahrelang!

Ein neues bahnbrechendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum sog. „Widerrufsjoker“ weitet die Rechte von Verbrauchern massiv aus. Das höchste europäische Gericht erteilte damit auch gleichzeitig der bankenfreundlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) eine deutliche Abfuhr. Gemäß den nun vom EuGH aufgestellten Anforderungen an eine ordnungsgemäße Information der Verbraucher bei Vertragsschluss sind annährend alle Verbraucherkreditverträge widerrufbar!
Erfahren Sie in diesem Ratgeber, wie auch Sie vom EuGH-Urteil profitieren!

Inhaltsverzeichnis
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    Was versteht man unter Widerrufsrecht?

    Den meisten Verbrauchern ist das Konzept des Widerrufs insbesondere aus dem Onlinehandel bekannt. So können Bestellungen, z.B. bei Amazon, ohne Angabe von Gründen innerhalb von 14 Tagen zurückgesendet werden. Der Kunde schickt die Ware zurück, der Verkäufer erstattet das Geld.
    Auch bei Kreditverträgen oder Leasingverträgen, die ein Verbraucher, also eine Privatperson, mit einem Unternehmen (etwa einer Bank) schließt, sog. Verbraucherdarlehensverträge nach § 491 BGB, steht dem Verbraucher aus § 495 Abs. 1 BGB ein Widerrufsrecht nach § 355 Abs. 1 BGB zu. Demnach kann der Verbraucher einen abgeschlossenen Kreditvertrag binnen 14 Tagen widerrufen (§§ 495 Abs. 1355 BGB).

    „Bitte beachten Sie: Das neue Urteil des EuGHs gilt nur für Darlehensverträge, die nicht der Immobilienfinanzierung dienen! Für solche Darlehen gelten andere Regelungen!“

    Wann beginnt die Widerrufsfrist zu laufen?

    Die Widerrufsfrist beginnt grundsätzlich frühestens mit dem Vertragsabschluss. Jedoch bestimmt § 356 b Abs. 2 S. 1 BGB, dass die Widerrufsfrist erst dann zu laufen beginnt, wenn der Kunde umfassend, klar und verständlich über sein Widerrufsrecht informiert wurde und alle für den jeweiligen Kredittyp erforderlichen Pflichtangaben erhalten hat.
    Der Katalog, welche Pflichtangaben der Verbraucher bei Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrages erhalten muss, findet sich in Art. 247 § 6 bis § 13 des Einführungsgesetztes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB). Jener Art. 247 EGBGB wiederum setzt die Vorgaben der EU-Richtlinie zu Verbraucherkreditverträgen 2008/48/EG um.

    „Ist die im Verbraucherkredit enthaltende Widerrufsbelehrung fehlerhaft oder hat der Verbraucher nicht alle erforderlichen Pflichtangaben erhalten, beginnt die 14-tägige Widerrufsfrist nicht zu laufen!“

    Welche Pflichtangaben müssen im Verbraucherdarlehensvertrag enthalten sein? Was ist ein „Widerrufsjoker“?

    Die wichtigste Pflichtangabe ist der eindeutige Hinweis auf das Widerrufsrecht selbst, die sog. Widerrufsbelehrung bzw. Widerrufsinformationen. Die Privatperson muss klar und deutlich darauf hingewiesen werden, dass er den Darlehensvertrag innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen widerrufen kann.
    Zudem muss dem Verbraucher deutlich gemacht werden, dass diese zweiwöchige Frist erst dann zu laufen beginnt, wenn er alle sonstigen Pflichtangaben erhalten hat.

    Zu den sonstigen Pflichtangaben zählen unter anderem die Überlassung eines Tilgungsplans, die Berechnungsmethode der Vorfälligkeitsentschädigung für den Fall, dass der Verbraucher den Kredit vor dem Ende der Laufzeit vollständig zurückzahlen will, die korrekte Angabe des geltenden Verzugszinssatzes und das einzuhaltende Verfahren bei einer Kündigung des Kreditvertrages.
    Fehlt eine solche Pflichtangabe oder ist sie falsch bzw. unvollständig, beginnt die 14-täige Widerrufsfrist nicht zu laufen! Dies hat zur Folge, dass Verbraucher ihren Vertrag teilweise noch Jahre nach Abschluss eines Kredits oder Leasingvertrags widerrufen können.

    „Diese Möglichkeit des Verbrauchers, grundlos und ohne Frist von einem „ewigen“ Widerrufsrecht Gebrauch zu machen, nennt man gemeinhin „Widerrufsjoker“.

    Was hat sich durch das EUGH-Urteil bezüglich des Widerrufs von Kreditverträgen geändert?

    Der „Widerrufsjoker“ ist bereits seit Jahren Gegenstand der öffentlichen Berichterstattung. Bereits im März 2020 berichteten wir über ein ebenfalls spektakuläres Urteil des EuGHs (C-66/19), dass sich mit der deutschen Musterwiderrufsinformation kritisch auseinandersetzte.

    Da über den Umfang und konkreten Inhalt der Informationspflichten der Kreditinstitute große Unsicherheiten bestanden, entschied sich der deutsche Gesetzgeber in der Anlage 7 zu Art. 247 EGBGB ein Musterwiderrufsformular anzubieten. Die Banken sollten dieses Muster kostenfrei übernehmen können und hätten hierdurch die Garantie, dass Verbrauchern sämtliche erforderlichen Informationen ordnungsgemäß erteilt wurden. Diese Musterwiderrufsinformation erhielt hierdurch de facto „Gesetzeskraft“ (sog. Gesetzlichkeitsfiktion).

    Der EuGH entschied im März 2020 jedoch eindeutig, dass die Formulierungen in diesem Musterwiderrufsformular derart unklar gefasst seien, dass die Verbraucher eben nicht ordnungsgemäß über ihr Widerrufsrecht informiert wurden (Stichwort: „Kaskadenverweis“). Der EuGH erklärte die Musterwiderrufsinformation des deutschen Gesetzgebers deshalb kurzerhand für eurorechtswidrig. Die logische Folge: Annährend alle Verbraucherkreditverträge wären widerrufbar gewesen!

    Der BGH jedoch wollte dieses verbraucherfreundliche Urteil nicht akzeptieren. So argumentierten die Karlsruher Richter, dass die Musterwiderrufsinformation für Verbraucher zwar möglicherweise unverständlich sei. Nachdem das Muster aber vom deutschen Gesetzgeber verfasst wurde, sei die deutsche Rechtsprechung aber eben jenes Muster wie an Gesetzte gebunden. Die Banken genossen damit Vertrauensschutz. Das EuGH-Urteil aus dem März 2020 brachte demnach nicht den erhoffen Durchbruch für Verbraucher!

    Engagierte Verbraucherschutzanwälte fanden aber in den Darlehensverträgen der Kunden eine Vielzahl weiterer Fehler. Denn neben der erforderlichen Information über das Widerrufsrecht selbst, haben die Kreditinstitute die Verbraucher – wie oben dargestellt – noch über eine Vielzahl weiterer Umstände aufzuklären. Erst wenn Verbraucher auch diese Pflichtangaben erhalten, beginnt die Widerrufsfrist zu laufen (§ 356b Abs. 2 S. 1 BGB).

    Verbraucherschützer argumentierten deshalb, dass unabhängig von der aufgrund der Gesetzlichkeitsfiktion ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung, die Widerrufsfrist noch nicht angelaufen sei, da die Banken die sonstigen Pflichtangaben nicht ordnungsgemäß erteilt hätten. So seien Verbraucher meist unzureichend über die Berechnungsmethode der Vorfälligkeitsentschädigung belehrt worden. Ebenfalls fehlten oftmals Angaben eines konkreten Verzugszinssatzes. Aber auch diesen Argumenten stellte sich der BGH mit abenteuerlicher Begründung entgegen und hielt an seiner bankenfreundlichen Rechtsprechung fest. Selbst wenn Pflichtangaben falsch oder gar nicht erteilt würden, verliere die Bank lediglich ihre Rechte in Bezug auf die falscher Pflichtangaben, das Widerrufsrecht und insbesondere der Fristlauf blieben hiervon aber unberührt.

    Dieser Ansicht erteilte die sechste Kammer des EuGHs mit Urteil vom 09.September 2021 in den zusammengefassten Rechtssachen C-33/20, C-155/20 und C-187/20 nun eine deutliche Abfuhr!

    „Nunmehr gilt: Hat das Kreditinstitut die erforderlichen Pflichtangaben nicht oder falsch erteilt, steht dem Verbraucher ein „ewiges Widerrufsrecht“ zu, da die Widerrufsfrist noch nicht angelaufen ist.“

    So entschied der EuGH beispielsweise hinsichtlich der Vorfälligkeitsentschädigung:
    Art. 10 Abs. 2 Buchst. r der RL 2008/48 ist dahin auszulegen, dass im Kreditvertrag die Methode für die Berechnung der bei vorzeitiger Rückzahlung des Darlehens fälligen Entschädigung in einer konkreten und für einen Durchschnittsverbraucher leicht nachvollziehbaren Weise anzugeben ist, so dass dieser die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung anhand der in diesem Vertrag erteilten Informationen bestimmen kann.“

    Aber dessen nicht genug!

    „Der EuGH entschied eindeutig, dass die von Banken in Verfahren gegen Verbraucher häufig erhobenen Einwände der „rechtsmissbräuchlichen Ausübung des Widerrufsrechts“ oder gar der „Verwirkung“ des Widerrufsrechts unzulässig sind.“

    Welche Verträge sind betroffen?

    Im Ergebnis sind annährend alle Verbraucherkreditverträge von dem Urteil des EuGHs betroffen, da zahlreiche vom EuGH nunmehr aufgestellten Kriterien von fast keinem deutschen Kreditinstitut oder Unternehmen eingehalten werden, so beispielsweise die Angabe des geltenden Satzes der Verzugszinsen in Form eines konkreten Zinssatzes!

    Warum lohnt sich ein Widerruf des Verbraucherdarlehensvertrages?

    Hat der Verbraucher wirksam den Widerruf erklärt, sind grundsätzlich alle gegenseitig empfangenen Leistungen zurückzugewähren.
    Wurde demnach etwa ein finanzierter Autokauf widerrufen, muss der Verbraucher das Auto an die Bank zurückgeben. Im Gegenzug erhält er aber alle gezahlten Raten und eine eventuell geleistete Anzahlung zurück. Ist das Fahrzeug noch nicht abbezahlt, hat die Bank keinen Anspruch mehr auf zukünftige Raten. Es wird allenfalls ein – oftmals nur geringer –Nutzungsersatz für gefahrene Kilometer in Abzug gebracht.
    Dies ermöglicht insbesondere auch Verbrauchern, die ein vom Dieselskandal betroffenes Fahrzeug finanziert haben, sich schnell und unkompliziert vom Vertrag zu lösen.

    Was Sie jetzt tun sollten – Unser Tipp zum „Widerrufsjoker 2.0“!

    Möchten auch Sie vom neuen Widerrufsjoker 2.0 profitieren und sich von einem Verbraucherdarlehensvertrag lösen?

    Beeilen Sie sich! Denn den Banken steht die Möglichkeit offen, Sie gemäß § 492 Abs. 6 BGB als Reaktion auf das Urteil des EuGH nachträglich, nunmehr ordnungsgemäß über Ihr Widerrufsrecht zu informieren – demnach würde die 14-tägige Widerrufsfrist ab Erhalt der Mitteilung zu laufen beginnen!

    Vereinbaren Sie daher schnellstmöglich einen Termin mit uns! Nur nach genauer Durchsicht der Vertragsunterlagen lässt sich seriös bestimmen, ob Ihr Vertrag vom neuen Urteil des EuGHs betroffen ist. Ist dies der Fall, berechnen wir für Sie, ob Ihnen die Ausübung des Widerrufsrechts finanzielle Vorteile bringt, und klären Sie über mögliche Risiken auf. Auf Ihren Wunsch hin, erklären wir den Widerruf in Ihrem Namen gegenüber der Bank, und setzen Ihren Anspruch, falls notwendig, auch gerichtlich für Sie durch.

    Kontaktieren Sie noch heute die Kanzlei Limmer.Reutemann – Rechtsanwälte aus Augsburg und vereinbaren Sie einen Beratungstermin. Wir sind jederzeit gerne für Sie da.


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